Ein anspruchsvolles Lektorat kostet: Zu sehen sind Taschenrechner, Kugelschreiber und Prozentzahlen auf Papier.
Ein anspruchsvolles Lektorat kostet: Zu sehen sind Taschenrechner, Kugelschreiber und Prozentzahlen auf Papier.
 

BERECHNUNG

Textumfang, Korrekturbedarf und Vorstellungen des Kunden – das sind in aller Regel die drei wichtigsten Aspekte bei der Berechnung des Honorars für ein klassisches Lektorat, ein Wissenschaftslektorat, ein Korrektorat oder für die Redaktion eines Manuskripts. Weitere Faktoren wie die Befristung der Bearbeitungszeit können hinzukommen. Doch was genau bezahlt der Kunde? Und welche Ausgaben muss ein Lektor mithilfe seines Honorars bestreiten?

Im Vergleich zum Angestellten können bei freien Lektoren wie bei vielen anderen Selbstständigen und Freiberuflern auch verschiedene Kostenpositionen zum Tragen kommen: Einkommensteuer, Sozialversicherungsbeiträge, ggf. Abgaben für die private Absicherung und Risikovorsorge, Büromittel-, Verwaltungs- sowie schließlich Betriebskosten, beispielsweise für die Schaltung von Werbeanzeigen. All dies muss in der Berechnung des Honorars Berücksichtigung finden.

 

Arbeitsweise des Lektors

 

Darüber hinaus ist das Handwerk des Lektorats äußerst anspruchsvoll. Konzentration ist die conditio sine qua non dieses Berufs. Wer stundenlang mit geschärftem Blick und wachem Verstand auf Manuskripte oder Bildschirm schaut, darf sich weder ablenken lassen noch im mechanischen Duktus von Routinen agieren. Das gilt nicht nur für den spezifischen Bearbeitungsmodus des Lektorats. Denn wer die Korrektur von Rechtschreibung, Zeichensetzung und Grammatik für einen solchen rein mechanischen Akt hält, der irrt: Sprachformale Aspekte wie die grammatikalische Qualität eines Textes sind nur mithilfe von Textverständnis sinnvoll zu beurteilen. Ziel ist hier die sogenannte Kohäsion, der grammatische Zusammenhang eines Textes. Ob beispielsweise ein Personalpronomen korrekt oder falsch gewählt ist, zeigt erst der Blick auf Genus und Numerus des entsprechenden Referenzbegriffs im vorhergehenden Text.

Komplexer als das Korrektorat ist die Arbeit im Rahmen eines Lektorats gleichwohl. Schwerpunkt dieser Arbeit ist neben der Korrektur sprachformaler Aspekte die strukturelle, argumentative und stilistische Prüfung bzw. Anpassung eines Textes. Was Lektor oder Lektorin hier leisten muss, ist ein hermeneutischer Akt. Er oder sie muss sich hineindenken und -fühlen in die Gedankenwelt, in Sprachhabitus und -stil der Autorin oder des Autors, muss eigene Überzeugungen oder Thesen ggf. vernachlässigen und im kreativen Prozess stets abwägen zwischen dem vordefinierten Ziel einer Optimierung des vorliegenden Textes und dem konservatorisch relevanten Prinzip der Originalität.

Nicht immer reicht es, den Text im Verlauf des Bearbeitungsprozesses nur einmal zu lesen, Sätze zu löschen und kurze Kommentare zu formulieren. Oftmals müssen Textpassagen wiederholt der Lektüre unterzogen werden, müssen alternative Formulierungen ausprobiert, gelöscht und ihrerseits überarbeitet werden. Viel hängt dabei selbstverständlich von der Stringenz und Nachvollziehbarkeit der Argumentation, der Fehlerdichte und dem stilistischen Charakter des jeweiligen Ausgangstextes ab.

 

Wert der Lektorenarbeit

 

Dass sich eine solche Arbeit nur schwerlich standardisieren lässt, dürfte angesichts äußerst unterschiedlicher Texte und Bearbeitungsbedingungen leicht nachzuvollziehen sein. Dennoch existieren innerhalb der Lektorenbranche Anbieter, die mit festen und zugleich äußerst niedrigen Angebotspreisen operieren. Zum Teil verbergen sich hinter solchen vermeintlich günstigen Preisen schlichtweg abweichende Berechnungsgrundlagen wie die Festlegung einer geringeren Zeichenzahl pro Normseite. In anderen Fällen sind solche Angebote Ausdruck einer gezielten, aber langfristig fatal wirkenden Konkurrenzstrategie auf dem Lektorenmarkt. Gefahren bergen solche Strategien dabei sowohl für Anbieter als auch für Kundinnen und Kunden. Wer als Lektorin oder Lektor erstmal in die Falle des Preisdumpings getappt ist, der kann sich nur schwer den einmal geweckten Kundenerwartungen widersetzen. Wie aber lässt sich mit zu gering kalkulierten Honoraren der Lebensunterhalt dauerhaft bestreiten?

Eine Möglichkeit ist sicherlich die Standardisierung der angebotenen Leistung, unabhängig vom tatsächlichen Bedarf. Wer unabhängig vom Korrekturbedarf stets eine bestimmte Anzahl von Aufträgen braucht, dessen Zeitkontingent pro Auftrag ist naturgemäß begrenzt. Die Qualität der entsprechenden Dienstleistung kann unter einer solchen Vorgehensweise alsbald allerdings leiden.

Aus kartellrechtlichen Gründen letztmalig für die Jahre 2008/2009 hat der deutsche Branchenverband Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren Honorarempfehlungen herausgegeben, die für das Lektorat ein Honorar von mindestens 42,00 bzw. 47,00 EUR pro Stunde oder 5,30 EUR pro Normseite (ohne ggf. fällige Umsatzsteuer) veranschlagten. Grundlage der Berechnung waren damals dieselben Kriterien, die auch heute noch Anwendung finden, wenngleich heute mit deutlich gestiegenen Kostenziffern zu rechnen ist.

Aus diesen Erläuterungen folgt sicherlich nicht, dass freie Lektoren und Lektorinnen, die Dienstleistungen zu sehr günstigen Preisen anbieten, effektiv schlechte Arbeit abliefern müssen. Aber es bedeutet, dass hochwertige Arbeit ohne angemessene Honorierung sich mittelfristig nicht behaupten wird und ein faires Honorar somit letztlich nicht nur im Interesse des freien Lektorats, sondern auch von Kundinnen und Kunden liegen dürfte.

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